Weggeballermannt?
„Die Band hat erst mal gefragt, ob das hier Kansas ist“, erzählt Christian Burr und lacht. Dabei war die Alternative-Rock-Band Spain nicht in der Pampa des US-Bundesstaat Kansas gestrandet, sondern in Burrs Heimatort Hemmersdorf. Mit dem Konzert der Band ist Burr seinem Ziel ein Stück näher gekommen. Seinem Ziel, alternative Popmusik in die saarländische Provinz zu bringen. Direkt am Bahnhof von Hemmersdorf, im Gasthaus Gellenberg, hat die US-Band eines der Konzerte ihrer Europa-Tour gespielt. „Das halbe Dorf war da und das, obwohl fast niemand die Band kannte. Das hätte ich nie gedacht“, sagt Burr.
„Das Saarland ist musikalisch ausgedörrt.“
– Christian Burr
Wenn es nach Christian Burr geht, dann sollen viel öfter internationale Bands hierher kommen. Er ist Konzertagent und stammt aus dem Saarland. Seit einigen Jahren hat seine Konzertagentur nun schon ihren Sitz in dem 2200-Einwohner-Ort Hemmersdorf an der französischen Grenze. Von hier aus organisiert Burr die Europatouren von internationalen Künstlern wie Element Of Crime, Grandaddy oder Yann Tiersen. Künstler, die nur selten in seinem eigenen Bundesland spielen. „80 Prozent der Musik dieser Welt findet nicht im Saarland statt“, sagt Burr. Er sieht darin auch einen Grund, dass junge Menschen wegziehen. Das Saarland erscheint ihm völlig „unsexy“ für Jugendliche und „musikalisch ausgedörrt“.
„Wir haben hier alles, was wir brauchen“
Nur fünf Minuten Fußweg entfernt von Burrs Konzertagentur sieht der 20-jährige Florian das ganz anders. „Wir haben hier alles, was wir brauchen“, sagt er. Florian sitzt hinter dem Tresen im Jugendtreff Hemmersdorf und trinkt eine Cola. Um ihn herum hängen Plakate von „Après-Ski“- und „Drunken-Before-Christmas-Partys“. Im Hintergrund dröhnen Beats der Rapgruppe KIZ aus der neuen Anlage. Auf sie sind die Jugendlichen besonders stolz. Einmal haben Florian und seine Freunde die Boxen sogar so weit aufgedreht, dass ein Fenster gesprungen ist. Das ist jetzt mit grauem Panzertape notdürftig geflickt.
Mehrmals die Woche trifft Florian sich hier mit seinen Kumpels, immer samstags schmeißen sie eine Party für die Jugendlichen aus dem Dorf. „Da läuft echt alles an Musik“, sagt Florian. „Außer dieser Soft-Rock“, wirft sein Kumpel Sascha, 25, ein und meint damit die Musik, die die Band Spain noch vor ein paar Wochen im Gasthaus Gellenberg gespielt hat. Florian und Sascha standen nur vor dem Konzert mit einem Bier in der Hand, sie wollten sich mal anschauen, was für eine internationale Band da in ihren Ort kommt. Aber die Musik war nichts für sie, die zehn Euro Eintritt zu viel. Also haben sie einfach von draußen zugehört und sich unterhalten.
„Wir müssen uns zusammenschließen, um Lobby für unsere Sache zu machen“
„Die Jugend im Saarland ist weggeballermannt worden“, sagt Christian Burr. Hier fänden nur die Konzerte statt, bei denen genug Tickets verkauft werden. Förderung für unkonventionelle Musik gebe es im Saarland kaum, deshalb seien die Jugendlichen auch nicht an solche Musik gewöhnt.
Burr sucht für seinen Plan, die alternative Musik ins Saarland zu bringen, nach Verbündeten. Die hat er beim PopRat Saarland gefunden. Der selbsternannte Rat hat sich vor drei Jahren gegründet. Mittlerweile sind darin über zweihundert Popkulturschaffende organisiert, vom Festivalveranstalter bis zur einzelnen Künstlerin. „Wir müssen uns zusammenschließen, um Lobby für unsere Sache zu machen“, erklärt Peter Meyer, der Vorsitzende des PopRats. Meyer und den anderen PoprätInnen ist nicht nur die Musik wichtig, sondern auch andere moderne Kultur wie Urban Streetart, Fantasy-Literatur oder Poetry Slams.
„Christian will erziehen, da wird es kritisch.“
– Peter Meyer
Den Plan von Burr hält Meyer für gewagt: „Christian will erziehen, da wird es kritisch. Nur weil er den Leuten seine Musik vor die Nase setzt, werden sie sie nicht gut finden.“ Trotzdem unterstützen Meyer und der PopRat Burr bei seinen Plänen. Solche Leute brauche es hier. Schließlich fehle es an staatlicher Förderung, geeigneten Locations und Infrastruktur. „Im Kampf der Regionen um junge Menschen ist es für das Saarland schwer, für sich zu werben. Wir wollen hier etwas bieten und das können wir mit Popkultur schaffen“, sagt Meyer. „Ich möchte einfach auch, dass meine 12-jährige Tochter, wenn sie erwachsen ist, im Saarland bleibt.“
Meyer und seine MitstreiterInnen sind überzeugt davon, dass sie mit Popkultur das Saarland auch außerhalb der Grenzen bekannt machen können. „Viele Deutsche wissen gar nicht, dass das Saarland ein Bundesland ist und nicht zu Frankreich gehört“, sagt Meyer.
Ein Kinderchor, der David-Bowie-Lieder singt
Dieser Meinung ist auch Burr und will mit seiner nächsten Aktion erneut ein „Schlaglicht auf das Saarland und Hemmersdorf werfen“. Er plant für nächstes Jahr im Herbst ein eigenes Festival für den kleinen Ort. Als Locations sollen unter anderem die Dorfkirche, das Gasthaus Gellenberg und die Schulturnhalle dienen. Sein Traum für die Festivaleröffnung: ein Kinderchor, der David-Bowie-Lieder singt. Neben einem alternativen Musikprogramm sollen aber auch Kanu- und Fahrradtouren durch die Region angeboten werden. So will Burr seine Heimat bekannter machen. „Um das umzusetzen, brauche ich natürlich Rückhalt im Ort“, sagt er. Dafür ist Burr auch in den SPD-Ortsverein eingetreten und möchte künftig in der Kulturpolitik seiner Gemeinde mitmischen.
„Um das umzusetzen, brauche ich natürlich Rückhalt im Ort.“
– Christian Burr
Bei den Jungs vom Jugendtreff Hemmersdorf hat er den Rückhalt auf jeden Fall. Obwohl sie seinen Musikgeschmack nicht teilen, würden Florian, Sascha und ihre Freunde zum Festival gehen und „sich das Ganze mal anschauen“. Wenn man sie allerdings fragt, was ihnen wirklich fehlt in Hemmersdorf, dann antworten Florian, Sascha und ihre Freunde unisono: „ein Getränkemarkt“.
Wo siehst du Politik vor deiner Haustür?
von Antonia Franz, Constanze Kainz und Regina Steffens