Rheinland-Pfalz

Wahl mit 16 – Ja oder Nein?

In zehn Bundesländern dürfen Jugendliche bei Kommunalwahlen ihre Stimme abgeben. In Rheinland-Pfalz nicht. Darüber streiten Jusos und Junge Union.

Wahl ab 16? Thorsten Rheude (33) von der Jungen Union und Umut Kurt (23) von den Jusos sind in der Frage unterschiedlicher Meinung

Wählen heißt mitbestimmen. Entscheiden, was auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene politisch passiert. Doch nicht alle dürfen das. „Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat.“ Das schreibt Artikel 38 des Grundgesetzes vor – zumindest für Bundestagswahlen.

Bei Landtags- und Kommunalwahlen aber sieht es anders aus: Einige Bundesländer haben die Landesgesetze geändert:  In Brandenburg, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt dürfen schon 16-Jährige wählen.

Ob Jugendliche auch in Rheinland-Pfalz mitbestimmen können, wer im Gemeinde-, Stadtrat oder Kreistag sitzt, darüber streiten sich hier Jusos und JU. Das sind die Jugendorganisationen der SPD und der Union. Es geht um die Stimmen von 72.600 Jugendlichen in Rheinland-Pfalz.

Wahl ab 16 Jahren, Ja oder Nein? Das haben wir den Landesvorsitzenden der Jusos und den kommunalpolitischen Sprecher der Jungen Union gefragt. Juso Umut Kurt (23) haben wir in der Mainzer SPD-Parteizentrale getroffen, den JUler Thorsten Rheude (33) bei sich zuhause in Germersheim.

Mit 16 wählen?

Umut Kurt: Junge Menschen sind aktuell dazu verdammt, hinzunehmen, was ältere Leute entschieden haben. Deshalb ist unser Ziel: Wahlalter ab 16, damit junge Menschen auch an Entscheidungen teilhaben können.

Thorsten Rheude: Die JU hat sich ziemlich eindeutig für ein „Nein“ positioniert. Wir sehen einfach nicht die Notwendigkeit, das Wahlrecht zu ändern.

Etwas konkreter – warum?

Thorsten Rheude: Man sagt, mit 16 bist du nicht mündig, darfst nicht Auto fahren, darfst keine Verträge abschließen. Aber wählen, das ist schon okay. Das ist doch unlogisch.

Umut Kurt: Das Argument der JU greift nicht. Junge Menschen machen teilweise mit 16 eine Ausbildung, gehen arbeiten, zahlen Steuern und sollen dann nicht mitentscheiden können, wo ihre Steuermittel hinfließen? Außerdem: Viele junge Menschen sind ehrenamtlich aktiv, ob es jetzt im Jugendparlament ist, in der Schülervertretung, in Vereinen, Gewerkschaften, Verbänden oder beim Roten Kreuz. Junge Menschen übernehmen schon total früh Verantwortung für die Gesellschaft.

Thorsten Rheude: Viel wichtiger ist im Moment aber, glaube ich, das Argument der Beeinflussbarkeit. Also, wir erleben gerade ja, dass sich Erwachsene leicht beeinflussen lassen, Zeug glauben, das offensichtlich relativ absurd ist. 16- oder 17-Jährige sind mit Sicherheit noch leichter beeinflussbar, da ist noch viel mehr Rattenfängerei dabei.

Man sagt, mit 16 bist du nicht mündig, darfst nicht Auto fahren, darfst keine Verträge abschließen. Aber wählen, das ist schon okay. Das ist doch unlogisch.

– Thorsten Rheude

Gegenfrage: Lassen sich 16-Jährige also zu sehr beeinflussen?

Umut Kurt: Es ist durchaus so, dass sich junge Menschen an dem orientieren, was ihr Umfeld macht, was ihre Eltern wählen. Wir müssen die Entscheidung des Wahlalters mit 16 damit verknüpfen, mehr Bildungsarbeit zu leisten – mehr und früheren Sozialkundeunterricht, Aufklärungsarbeit an Schulen und in Jugendzentren. Das ist ganz wesentlich.

Thorsten Rheude: Alle in der JU sagen, dass junge Menschen mehr informiert werden müssen. Damit man, wenn man dann 18 ist, direkt loslegen kann und sich nicht dann erst damit auseinandersetzt.

Es liegt also nicht nur am Alter, sondern vor allem an der politische Bildung?

Thorsten Rheude: Es braucht einen gewissen Reifeprozess, bis man sagt, ja jetzt gehe ich wählen. Ob der mit fünfzehneinhalb schon abgeschlossen ist, da möchte ich ein Fragezeichen hinmachen.

Umut Kurt: Ich finde die Argumente der JU gar nicht angemessen. Sie wirft jungen Menschen vor, sie seien nicht reif genug, sich der Konsequenzen ihres Handelns bewusst zu sein. Ich erlebe in meiner Arbeit als Lehrer und auch bei den Jusos viele junge Menschen, die ganz großes Interesse an Politik haben. Und wissen, was sie tun.

Thorsten Rheude: Ich kenne mit Sicherheit 14-Jährige, die super gut informiert sind und dann gibt es andere, die sind mit 35 noch nicht so weit. Also das heißt, diese Wahlgrenze wird immer irgendwo beliebig gezogen werden müssen. 16 ist schlussendlich genauso beliebig wie 18 oder früher 21. Dass es mit 18 Jahren an die Volljährigkeit gekoppelt ist, halte ich deshalb für sehr sinnvoll.

Gucken, prüfen und wenn es nicht schlecht war, warum dann verändern?

– Thorsten Rheude

Wie können sich Jugendliche trotzdem einbringen, wenn sie nicht wählen können?

Thorsten Rheude: Wählen gehen ist nicht das Mittel, um die politische Beteiligung zu erhöhen. Mit 14 könnte man zum Beispiel in die Junge Union eintreten, mit 16 Jahren in die CDU. Oder: Der Jugendstadtrat oder Gemeinderat bieten auch echt gute Möglichkeiten für Jugendliche, sich eine Stimme zu verschaffen.

Umut Kurt: Junge Menschen finden Parteien nicht sexy. Es gibt keine Politikverdrossenheit bei jungen Menschen, sondern Parteiverdrossenheit.

Thorsten Rheude: Also wenn jemand wirklich aktiv ist, dann kriegt der seinen Einfluss. Sind wir mal ehrlich, auf jeder JU-Party ist irgendwann so ein Zeitpunkt erreicht, wo man ins Gespräch kommt. Also ganz oft werden da kurze Wege genutzt. Es kotzt sich jemand bei dir aus auf einer Party und sagt: „Finde ich total scheiße, dass die keine Ahnung was…“ Und dann merkt man sich das, gibt das weiter. Da würde auch keiner sagen: „Du bist noch zu jung für das Thema.“

Wie geht's weiter?

Umut Kurt: Die Kommune ist erst der erste Schritt. Weil dort Demokratie direkt erfahrbar ist: Da kannst du ganz schnell sehen und erfahren, was du mit deinen politischen Entscheidungen erreichen kannst. Trotzdem sollte das Ziel sein, politische Teilhabe für Jugendliche auf allen Ebenen zu ermöglichen.

Thorsten Rheude: Der letzte Landesausschuss* zu dem Thema war vor dreieinhalb Jahren. 70 Prozent der JU waren da dafür, dass die 18er-Grenze bleibt. Wenn ich tippen müsste, würde ich sagen, bei der nächsten Abstimmung wären noch mehr dafür, ab 18 zu wählen. Politik ist ja nicht einfacher geworden, deshalb gewinnt das Protektionistische an Überhand, glaube ich. Und wir sind ja nicht schlecht gefahren mit dem, was es gab. Da kommt ja schon auch der konservative Geist durch. Also gucken, prüfen und wenn es nicht schlecht war, warum dann verändern.

Trotzdem sollte das Ziel sein, politische Teilhabe für Jugendliche auf allen Ebenen zu ermöglichen.

– Umut Kurt

Wird es die Wahl ab 16 über kurz oder lang geben?

Umut Kurt: Also wir meinen es ernst bei dem Thema. Und ich glaube, auch die Union ist offener, als sie es mal war. Aber sie ist noch nicht offen genug. Im Landtag brauchen wir die Zweidrittelmehrheit, und die haben wir als Ampel-Fraktion nicht. Wir sind da auf die Union angewiesen.

Thorsten Rheude: Die Welt wird nicht untergehen, wenn 16-Jährige wählen. Das nicht, aber wir sehen die Notwendigkeit nicht. Also das ist wirklich so ein „Warum, wenn es doch bislang gut funktioniert“-Argument.

*Der Landesausschuss koordiniert die politischen Aktivitäten des Landesverbands berät und unterstützt den Landesvorstand. 

Wo siehst du Politik vor deiner Haustür?

von Antonia Franz, Constanze Kainz und Regina Steffens