Sachsen-Anhalt

Jugend ohne Trott

In Schönebeck bei Magdeburg mischt sich ein Jugendbeirat in die Kommunalpolitik ein. Er gibt jungen Menschen eine Stimme – auch wenn nicht alles so klappt, wie sie es gerne hätten.

Einmal im Monat trifft sich der vom Stadtrat gewählte Beirat in den Räumlichkeiten des Piranha

Der bunteste Ort in Schönebeck ist ein vierstöckiges Backsteingebäude gegenüber des Bahnhofs. Wer die massive Holztür zum Kinder- und Jugendbüro Piranha hinter sich schließt, findet sich in einer Mischung aus Konferenzraum, Bastelwerkstatt und Indoor-Spielplatz wieder.

Zwischen Topfpflanzen leuchten auf bürogelben Wänden Gemälde in blau, rot und grün, auf Fenstersimsen blitzen Fotos und knallbuntes Selbstgebasteltes. Stefan Meier, der Leiter der Einrichtung, könnte zu jedem Detail des Raumes eine Geschichte erzählen. Seit zwanzig Jahren ist der gelernte Erzieher hier nicht nur einfach angestellt – er lebt für seinen Beruf. Wenn er von seinen BesucherInnen spricht, wechselt er die Perspektive, spricht auf Augenhöhe mit und für Kinder und Jugendliche. Gleichaltrige nennt er konsequent „die Großen“ oder „die Erwachsenen“.

Stefan Meier leitet das Kinder- und Jugendbüro Piranha

Auf dem Programm von Piranha stehen neben Kochen, Geocaching, Kino-Nachmittage und Filmworkshops auch politische Bildung. Seit zehn Jahren organisieren Meier und ein Team aus Freiwilligen etwa die U18 Wahl, fahren in einem Wahlmobil auf örtliche Spielplätze, in Schulen und Kindergärten und lassen Kinder und Jugendliche wie Erwachsene echte Stimmzettel in echte Wahlurnen werfen. Jungen Menschen „eine Stimme“ zu geben, ist für Meier eine Herzensangelegenheit.

Auf dem Programm vom Piranha steht auch politische Bildung

Schönebeck hat einen Kurpark, ein Museum, eine Heimatstube, einen türkischen Imbiss und Rückenwind e.V. – einen Verein, der von Bastel-Nachmittagen über Computerkurse für Senioren bis hin zur Wiedereingliederung von Straftätern so ziemlich alles anbietet, was Schönebecker kümmert. Was die CDU-regierte Kleinstadt nicht hat: ein Kino, ein Einkaufszentrum, einen Club – und seit diesem Sommer auch kein Freibad mehr, weil es kein Geld für die dringend notwendige Sanierung gibt.

„Für uns ist es kein Problem, mit dem Rad zu den Badeseen außerhalb zu fahren, aber Fünfjährige können das nicht, das ist ja auch gefährlich“, heißt es aus den Reihen des Kinder- und Jugendbeirats. Einmal im Monat setzt sich das achtköpfige Gremium aus GymnasiastInnen, SekundarschülerInnen und jungen Berufstätigen an den Holztisch in den Räumen von Piranha, trinkt quietschgrüne Waldmeisterbrause und mischt sich in Kommunalpolitik ein.

„Demokratie ist manchmal ein bisschen frustrierend“

– Jugendbeirat Schönebeck

Einer von ihnen ist Eric. Er ist 17, trägt ein eng anliegendes schwarzes Shirt, Lederjacke, Jeans und Sneaker. Seit zwei Jahren ist der Elftklässler Mitglied und Protokollant der Gruppe, nebenbei Geschäftsführer eines Schülercafés und SPD-Mitglied. Fast schon routiniert wirft er in die chaotische Runde, dass dringend ein Positionspapier zum Freibad verfasst werden müsse. Immer wieder haben die Jugendlichen versucht, mit den StadträtInnen in Kontakt zu treten. Die sechsstellige Summe für eine Sanierung könne man in nächster Zeit aber schlichtweg nicht bezahlen, hieß es. Und: Der Bürgermeister habe keine Bespaßungspflicht für Jugendliche. Die Gruppe findet: „Demokratie ist manchmal ein bisschen frustrierend“.

Eric engagiert sich seit zwei Jahren im Kinder- und Jugendbeirat

Das zweite große Frust-Thema des Beirates: Keiner kennt ihn. Auf Instagram wirbt man mit Hashtags und Worten um Anhänger: „Die Erwachsenen bestimmen alles allein? Von unseren Interessen will keiner etwas wissen? Wir geben dir eine Stimme! Melde dich bei uns!“. Stand heute hat der Account 91 FollowerInnen. „Nicht einmal meine Klassenkameraden wissen, was ich da eigentlich mache“, knirscht einer aus der Gruppe. Dabei pflegt der per Stadtratsbeschluss gewählte Beirat neben dem Instagram-Account eine eigene Facebook-Seite, er organisiert Kinderfeste und hat sogar schon ein Speed-Dating mit KommunalpolitikerInnen und vielen BesucherInnen auf die Beine gestellt. Daran will man anknüpfen. Am besten mit noch ein paar mehr engagierten SchülerInnen, die sich für die Politik vor ihrer Haustür begeistern können.

Viele Jugendliche sehen in Schönebeck keine Perspektive mehr

Bei Eric zu Hause wird heftig diskutiert – auch oder gerade weil seine Eltern politisch oft völlig anderer Meinung sind als er. Abgesehen von seiner Zwillingsschwester ist Eric unter Gleichaltrigen mit seiner Leidenschaft für Stadtplanung, Kita-Gebühren, TÜV-Zertifikate von Skaterbahnen und Buswendeschleifen ziemlich alleine. Er ist trotzdem überzeugt: Kommunalpolitik ist wichtig, weil sie es ermöglicht, das Leben in der eigenen Stadt lebenswerter zu machen.

Viele Jugendliche sehen in Schönebeck keine Perspektive mehr. „Die meisten meiner Freunde“, sagt Eric, „ziehen nach der Schule aus Schönebeck weg.“ Auch Eric will fürs Studium raus aus seiner Heimat, nach Göttingen vielleicht, das nah gelegene Magdeburg oder Halle gefallen ihm nicht. Irgendwann einmal nach Schönebeck zurückzukehren, kann er sich aber schon vorstellen.

Im Verein Rückenwind wird von Bastel-Workshops bis hin zur Wiedereingliederung von Straftätern so ziemlich alles angeboten

Mitte September verkündete der Kinder- und Jugendbeirat, vielleicht unbewusst, in einem Nebensatz auf Instagram die Schließung des Piranha. Die Fördermittel seien gestrichen worden, sodass die Räumlichkeiten nicht mehr bezahlt werden können. Der Leiter Stefan Meier äußert sich bis heute nicht dazu. Für die ehrenamtlichen Jugendlichen des Beirates ist aber klar: Sie wollen auch ohne quietschgrüne Brause weiter für die Bedürfnisse junger SchönebeckerInnen kämpfen.

Wo siehst du Politik vor deiner Haustür?

von Nora Voit