Thüringen

Lokschuppenpartys

In Jena gibt es einen besonderen Club. Dort wurde Technogeschichte geschrieben.

Vor dem Kassablanca in Jena stehen abends die Gäste Schlange

Ohne Jena wäre Technomusik heute anders. Hier gibt es einen kleinen Club, der die gesamte Szene bis heute prägt: das Kassablanca. Seit 1990 kommen Gäste aus ganz Deutschland und KünstlerInnen aus der ganzen Welt hierher, um zu feiern. Markus arbeitet hier, seit er als junger Mann Mitte der Neunziger im Kassablanca Zivildienst gemacht hat. Heute ist er für das Kassa, wie es meist heißt, Sozialarbeiter, Putzkraft und Zimmermann.

Wer tagsüber am Kassablanca vorbei kommt, den empfängt Stille. Wo nachts gefeiert, geknutscht und getrunken wird, ist ein paar Stunden später bis auf leere Weinflaschen im Mülleimer nichts mehr zu sehen. Aber das fast vollständig zugesprayte Kassablanca ist geöffnet.

Der Leuchtturm

Das Gelände ist ein ehemaliger Lokschuppen direkt an den Gleisen am Bahnhof Jena-West. Von hier aus ist man in 30 Minuten in Erfurt oder in 10 Minuten in der thüringischen Provinz. Jena, der Leuchtturm der Region. Jena, das Paradies. Die Stadt wächst, fast ein Drittel sind hier AkademikerInnen, Geldprobleme hat fast keine/r. Die zwei Hochschulen und einige internationale Unternehmen wie Schott oder Zeiss sind das, was in Broschüren gerne als Standortfaktor bezeichnet wird. Eben alles, was Geld und Menschen in die Region spült.

„Wir sind auch ein Standortfaktor“, sagt Markus. Er putzt gerade im Kassa, aus einem Baustellenradio tönt der Deutschlandfunk, es riecht nach kaltem Zigarettenrauch. Am Vorabend hat hier noch die Band Garda gespielt. 750 Menschen passen hier rein, 750 Menschen, die trinken und feiern wollen.

Markus vom Kassa arbeitet seit über 20 Jahren für den Club

Vom Tanzclub zur Jugendhilfe

Das Kassa ist ein mittelständisches Unternehmen mit sechsstelligem Umsatz. Man versteht sich gut mit der Stadtverwaltung, sagt Markus. Dort sieht man das ähnlich. Seit 1999 fördert die Stadt Jena das Kassa auch finanziell, inzwischen sind es 300.000 Euro im Jahr. Bei einem städtischen Jahresbudget von über 300 Millionen keine Riesensumme, aber immerhin fast die Hälfte von dem, was das Kassa braucht. „Die Arbeit des Vereins Kassablanca Gleis 1 e.V. ist sowohl im kulturellen als auch im Bereich der Jugendhilfe unverzichtbar und muss langfristig gestärkt und gefördert werden“, so nüchtern formuliert das Amtsblatt die gegenseitige Liebe. Die Arbeit der Stadt Jena beschreibt Markus als vorbildlich. Es gibt sogar eine Gruppe, die Rederecht im Stadtrat hat und als Mittler zwischen der Politik, der freien Szene und der Verwaltung steht – der Beirat für Soziokultur.

Das Kassa Mitte der Neunziger – viel geändert hat sich von außen nicht

Die Geschichte des Kassablanca beginnt 1990. Aufregende Wendezeiten. „Alles war möglich, man musste nur machen“, erzählt Markus. Aus dem Neuen Forum, der Bürgerbewegung, die die Wende maßgeblich mitgestaltet hat, entsteht der Verein Kassablanca Gleis 1. In Zeiten, in denen die Politik größtenteils schockgelähmt war, mussten die Bürger ihre Ideen selbst umsetzen. Es gab genug zu tun. „Die Leute hatten Riesenlust auf internationale Musik, das war in der DDR ja nicht möglich“, sagt Markus. Heute erinnern noch ein paar Lampen aus dem Palast der Republik, einem Prunkbau in Ost-Berlin, und ein Stück Grenzzaun auf dem Dachboden an die DDR – eine ironische Hommage an die alte Zeit. Nach einigen mehr oder weniger freiwilligen Umzügen landet der Verein 1995 auf dem alten Bahngelände im ehemaligen Lokschuppen und Wasserturm. Das Gelände gehört heute der Stadt.

Techno und Familie

Seitdem ist das Kassablanca ein kulturelles Zentrum für ganz Thüringen. Gleichzeitig entwickelt sich im Dunstkreis der Partys eine Technoszene und ein Label, das zu einem der wichtigsten in dem Genre geworden ist: Freude am Tanzen. Auch hier findet sich die untergegangene DDR in neuer Form wieder. Das Logo – ein simpler Kranz – basteln die Gründer aus einer alten Papiertüte des DDR-Supermarktes Konsum mit der Aufschrift „Freude am Einkauf“. Unter diesem Label haben Künstler wie DJ Koze oder Marek Hemmann die Techno-Szene mitgeprägt und spielen heute in Clubs und Festivals auf der ganzen Welt.

„Alles war möglich, man musste nur machen.“

– Markus

Das Kassablanca ist aber nicht nur Techno und Party. Markus ist das wichtig, Soziokultur nennt er das. In den Räumen finden Filmvorführungen, Lesungen, Poetry Slams und Diskussionsrunden statt. Die queere Szene findet hier ein Zuhause, genauso wie ein Nähkaffee. Die, die sich engagieren, ehrenamtlich oder mit Gehalt, sprechen mehr von einer Familie als von Arbeit. In politisch unruhigen Zeiten möchte, nein müsse, das Kassablanca aber noch mehr sein, erzählt Markus. „Heute hat es auch den Anspruch, Menschen wieder in demokratische Strukturen zu holen.“

Wo siehst du Politik vor deiner Haustür?

von Tarek Barkouni und Bernadette Mittermeier