Mecklenburg-Vorpommern

„Der Coolness-Konsens ist eher rechts“

Bei den Kommunalwahlen 2009 haben in Anklam fast so viele Menschen die NPD gewählt wie die SPD. Welche Rolle spielt Politik für junge Leute in so einem Ort?

Unser Reporter Bernhard schreibt seine Eindrücke auf und wird dabei von unserem anderen Reporter Dominik fotografiert

Bernhard – Lilienthal-Gymnasium

Ich stehe auf dem Pausenhof. In einer Ecke streicht ein Junge einem Mädchen das Haar aus dem Gesicht und die Hände suchen sich, in einer anderen Ecke wird geraucht und gelacht, wie auf jedem Pausenhof. Das Schulgebäude ist ein schicker Backsteinbau. In einer repräsentativen Umfrage mit genau einem Schüler, bevor der Gong den Pausenhof leerfegt, lerne ich: „Über Politik quatschen wir eher nicht so, außer in Sozialkunde“. Aber er muss dann mal, Unterricht.

Dominik – Pasewalker Straße  (Stadtmitte)

An einer Bushaltestelle fällt mir ein schwarz-weißer Sticker auf. Er ist verblichen und zeigt eine Gruppe von Burschen in kurzen Hemden und mit akkuraten Scheiteln bei einer Bergwanderung. „Jungsturm Pommern“ steht da, „Stärke durch Disziplin“.

Ich bleibe vor einem Gebäude stehen, das nicht so recht in das Straßenbild passt. Es sieht aus wie eine Mischung aus Tierhandlung und KfZ-Werkstatt. Eine Plakette an der Ecke verrät: Es ist die Landeszentrale der NPD. Auch der „Pommersche Bücherdienst“ hat hier seinen Sitz, genauso ein Rechtsanwalt: Michael Andrejewski, der für die Partei schon im Landtag, in der Stadtvertretung und im Kreistag saß. Hunde sind ausdrücklich willkommen.

In der NPD-Zentrale sind Hunde herzlich willkommen

Nur ein paar Schritte weiter, in einem Eckhaus mit Klinkerfassade und Stuckornamenten, liegt das CDU-Bürgerbüro Vorpommern-Greifswald. Der 26-jährige Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor (CDU) kommt aus der Gegend. Er gilt als konservativer Shootingstar und wohnt jetzt in Berlin. Termine gibt es nur nach telefonischer Vereinbarung.

Bernhard – Lilienthal-Gymnasium

Im Sozialkundeunterricht quatschen sie also über Politik, meinte der Schüler auf dem Pausenhof. Das würde mich schon interessieren, was und wie da gequatscht wird. Weil ich mir vorstellen kann, dass der in Anklam etablierte Rechtextremismus da in irgendeiner Form Thema sein könnte. Vielleicht sind alle nur genervt davon, oder sie diskutieren rege und positionieren sich. Ich will den Sozialkundelehrer fragen, ob ich mit in den Unterricht darf, aber der ist leider krank. Dafür ist der Sozialarbeiter der Schule da. „Keine Nazipost in meinen Briefkasten“, klebt als Sticker an der Bürotür. Darunter steht in Handschrift: „Ist doch geil? Nazies sind die besten! P.S. Liebe <3“.

„Über Politik quatschen wir nicht so, außer im Sozialkundeunterricht.“ 

Jens Bordel macht mir die Tür auf. Über seinem Schreibtisch hängt eine riesige Regenbogenfahne. „Sobald es im Umfeld der Jugendlichen politisch explizit wird, gibt es Berührungsängste“, sagt er, während er Gebäck der Marke ja! in seinen Instantkaffee taucht. Deshalb gehe auch keine/r der SchülerInnen in das Jugend- und Kulturzentrum Demokratiebahnhof im Osten der Stadt. Das gelte nämlich als links, der Coolness-Konsens sei eher rechts. „Aber das ist auch nicht verwunderlich“, sagt Bordel. „Die Jugendlichen sind nie gezwungen, sich mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen. Weil es am Lilienthal-Gymnasium so gut wie niemanden mit Migrationshintergrund gibt.“

Der Coolness-Konsens ist eher rechts

Letztes Jahr habe es hier eine Schülerin mit Kopftuch gegeben, erzählt Bordel weiter. Aus einer syrischen Familie, der einzigen im ganzen Landkreis. Aber sie sei weggezogen, in eine größere Stadt mit mehr Perspektive. Bedauerlich, findet er. „So konnte ich gar nicht beobachten, wie die Schüler längerfristig auf den fremden Reiz reagiert hätten.“

Ich will überprüfen, ob wirklich keine/r der Jugendlichen von der Schule zum Demokratiebahnhof geht. Auf dem Weg dahin komme ich an einem Geschäft vorbei, von dem mir Bordel erzählt hat: New Dawn, ein „Nazibedarfsgeschäft“ sei das, mit Klamotten und Musik. Von seinen SchülerInnen trage keine/r was davon, er gehe aber manchmal selbst hin. Um auf dem Laufenden darüber zu bleiben, was an Symbolen in der rechten Szene gerade angesagt ist.

Von außen sehr unscheinbar: das Nazibedarfsgeschäft New Dawn

Bernhard – New Dawn

Von außen sind die Scheiben getönt, man kann nicht reinschauen. Ich gehe rein. Hinter dem Tresen steht ein grauhaariger Typ rum und packt was aus. Aus einem Lautsprecher plärrt irgendeine Rechtsrock-Band. Wölfe und Totenköpfe sind auf Shirts gedruckt, New Balance-Schuhe stehen in der Auslage, hinter Glasvitrinen sind Schilder mit der Aufschrift „Überzeugungstäter“ verstaut. Kundenfreundlich ist der Verkäufer nicht so sehr. Ups, ich habe ja meine Kamera umhängen und den Notizblock in der Hand. Bin der Wessi-Nachwuchsjournalist auf der erfolgreichen Suche nach dem Ostdeutschland-Klischee. Vielleicht sagt er deswegen nicht „Tschüss“. Als ich gehe, macht er mit seinem Handy noch ein Foto von mir.

Dominik – Demokratiebahnhof

Auf dem Dach des schmucklosen Ziegelbaus ist ein Banner aufgespannt. „Jugendliche können hier mitbestimmen!“, steht darauf. Ich gehe hinein und stehe in einer lichten Eingangshalle. Ein Kronleuchter hängt von der Decke, Teppiche dämpfen meine Schritte und da, wo man die Ticketautomaten vermuten würde, stehen Sofas.

Der Demokratiebahnhof gilt als Vorzeigeprojekt, gefördert von der Europäischen Union, ausgezeichnet mit dem Nachbarschaftspreis der nebenan.de-Stiftung.* Nur: Nachbarn kommen selten hierher. Außer Herr Müller. Früher, als das Gebäude noch eine Mitropa-Trinkhalle war, hat er immer hier gesoffen. Er kommt nicht los von diesem Ort, also hilft er jetzt im Demokratiebahnhof bei Handwerksarbeiten oder im Gemeinschaftsgarten.

„Zu Hause darf ich nie an den Herd.“

– Celine

Wenn man verstehen will, wie wichtig den Jugendlichen, die herkommen, dieser Ort ist, fragt man am besten Celine. Celine ist zehn und kommt jeden Tag her. Gäbe es den Bahnhof nicht, würde sie auf der Straße rumhängen. So wie es sehr viele Jugendliche in Anklam tun. Ihre Mutter ist froh, wenn sie aus dem Haus ist – ihren Vater hat sie seit drei Jahren nicht mehr gesehen. Im Demokratiebahnhof  hat sie Isabell kennengelernt: „Meine beste Freundin“, sagt sie. Isabell ist Umweltpädagogin, kümmert sich um den Garten vor dem Gebäude und kocht mit den Jugendlichen. Zu Hause dürfe sie nie an den Herd, sagt Celine.

Der Demokratiebahnhof ist ein Jugend- und Kulturzentrum in Anklam

BERNHARD – DEMOKRATIEBAHNHOF

Auf der Straße vor dem „Demokratiebahnhof“ trägt sich folgende Szene zu:

Kind 1, blond, dick, radelt auf mich zu und schreit: „Der will mir auf die Fresse hauen! Hilfe!“

Kind 2, braunhaarig, für sein Alter muskulös, radelt hinterher und heißt Leon. „Der nervt immer und geht auf andere! Morgen kriegt er!“

Kind 1 flieht lachend auf seinem Fahrrad, schreit „Leonie, Leonie!“ und meint Leon.

Leon radelt wutschnaubend hinterher und versucht, Kind 1 im Fahren auf die Fresse zu hauen. Schafft es nicht. Kind 1 lacht und skandiert weiter „Leonie“. Die beiden verschwinden in einer Seitenstraße.

 

*Anmerkung: Die nebenan.de-Stiftung fördert „Total Kommunal“.

 

Wo sehen Sie Politik vor Ihrer Haustür?

von Bernhard Heckler und Dominik Wolf